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European_American-Topics - Pazifische Rundschau - Interview mit Lena Gorelik

 

Münchner Autorin Lena Gorelik auf Arbeitsbesuch in Kanada

Von Peggy Heyder

Lena Gorelik gehört zu einer jungen Generation deutscher Immigranten, die sich ganz bewusst mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen, und das auf eine sehr charmante und eindringliche Weise. Nach Erscheinen ihres ersten Romans Meine weißen Nächte arbeitet die 25-jährige Münchnerin jetzt an ihrem zweiten Werk. Dank der Hilfe des Goethe-Institutes muss sie diese Arbeit aber nicht am heimischen Schreibtisch fortsetzen, sondern kann sich in ihrer Freizeit das kanadische Toronto anschauen: Die gebürtige Russin wurde als erste so genannte “Autorin in Residenz” vom 13. Februar bis 17. März nach Kanada eingeladen. Mit Journalistin Peggy Heyder sprach die Schriftstellerin über Schuluniformen, Elefanten und Liebeskummer. 

Frage: Du bist seit einer Woche in Toronto. Wie kommst du mit dem Schreiben voran? 

Gorelik: Gut. Ich habe mir ein Ziel gesteckt. Erst nachdem ich jeden Tag 10 Seiten geschrieben habe, darf ich mir die Zeit ausserhalb meines Büros vertreiben. Bis es soweit ist, können 3 Stunden oder auch der ganze Tag vergangen sein, je nachdem wie konzentriert ich arbeite. Bis Ende Februar will ich auf diese Weise 100 Seiten geschafft haben. Die schicke ich dann meiner Verlegerin und bis zum 31. März habe ich hoffentlich mein Buch fertig gestellt.  

Frage: Jeden Tag genau 10 Seiten? Erlaubst du dir auch manchmal mehr oder weniger?  

Gorelik: Nein, 10 Seiten müssen sein, reichen aber auch! Ich möchte ja auch etwas von Toronto sehen. 

Frage: Toronto mit seinen vielfältigen Kulturen ist ein guter Ort für jemanden, der selbst mehrere Kulturen in sich vereint; so wie du die deutsche und die russische. War auch das ein Grund, nach Toronto zu kommen und beeinflusst die Zeit hier deine Arbeit? 

Gorelik: Ich bin hier auf Einladung des Goethe-Instituts. Deshalb Toronto. Aber natürlich beeinflusst mich mein Umfeld hier. Toronto fühlt sich ganz anders als München an, nicht so homogen und auch nicht so reich. Das wird auch in mein Buch einfließen, obwohl ich noch nicht weiß, in welcher Art. 

Frage: Du verarbeitest gegenwärtige Geschehnisse also auch in deinem Buch? In Meine weißen Nächte ging es ja eher um Identitätsfindung in Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. 

Gorelik: Mein Stil wird sich nicht völlig ändern, aber ich schreibe jetzt viel stärker in der Gegenwart. Vielleicht nicht so 1:1, aber ich lebe und schreibe ja nicht im luftleeren Raum. Vielleicht bringe ich auch den aktuellen Konflikt zwischen Muslimen und der westlichen Welt oder Erlebnisse aus Toronto mit in meine Arbeit ein, aber es ist noch zu früh, um Genaues zu sagen. Aber die Gegenwart beeinflusst meine Arbeit in jedem Fall. 

Frage: Woher bekommst du deine täglichen Anregungen und wie überwindest du die Angst vorm leeren Blatt? 

Gorelik: Ich schreibe einfach auf, was mir in den Sinn kommt. Einer der Fehler, die ich nach dem Erscheinen des ersten Buches gemacht habe, war der Versuch, plötzlich perfekt schreiben zu wollen. Das hat mich lange Zeit blockiert. Ich kann mich selbst nur schlecht strukturieren. Nur wenn ich einfach los schreibe, kann ich authentisch schreiben. Ich glaube, das ist auch der Unterschied zwischen guter und richtig guter Literatur. Nur wer auch seine eigenen Gefühle dem Leser vermitteln kann, schreibt gut. Es muss nicht perfekt sein, aber wahrhaftig. Dabei ist es egal, ob der Inhalt erfunden oder wirklich ist. Ich glaube fest, dass nur wer Liebeskummer erlebt hat, auch darüber schreiben kann. Dabei ist es dann egal, ob es um Fremdgehen, Verlassenwerden oder religiöse Liebesprobleme geht.  

Frage: Lastet großer Druck auf dir nach dem Erfolg deines ersten Romans? 

Gorelik: Oh ja! Ich habe mir eine persönliche Messlatte gelegt. Vor meinem ersten Buch hatte keiner irgendwelche Erwartungen an mich. Und selbst wenn ich dachte, ich schreibe kompletten Unsinn hat das nicht gestört, denn niemand erwartete, dass ich keinen Unsinn schreibe. Das hat sich jetzt geändert. Deshalb fiel mir das Schreiben auch zunächst unglaublich schwer, erst hier in Toronto löst sich meine Blockade und ich kann schreiben. Ich vertraue darauf, dass meine Verlegerin und meine Freunde mir schon mitteilen werden, wenn ich Schwachsinn schreibe.  

Frage: Ist dein neues Buch thematisch mit dem letzten vergleichbar? 

Gorelik: Ich hoffe nicht! Aber es ist noch zu früh, um über den Inhalt zu sprechen. Für den Moment schreibe ich alles auf, was mir durch den Kopf geht und hoffe darauf, dass ich daraus etwas Zusammenhängendes basteln kann.  

Frage: Unterstützen dich deine Verleger dabei? 

Gorelik: Oh ja. Ich habe ein hevorragendes Verhältnis zu meiner Verlegerin. Ich weiss, ich kann immer anrufen, wenn ich mich mal wieder so fühle als könnte ich gar nichts und werde nach Afrika auswandern und mich um Elefanten kümmern. Sie holt mich immer wieder zurück. Dieses Verhältnis ist mir sehr wichtig.  

Frage: Du hörst sicher oft die Frage, mit welcher Kultur du dich denn nun am meisten identifizierst.

Gorelik: Na klar. Ich denke dann, warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe? Ich bin eben ein Zwischending, sitze zwischen allen Stühlen, aber ich fühle mich wohl dort. Ich will das gar nicht ändern. So viele Gruppen versuchen, mich zu vereinnahmen und ich werde zu den seltsamsten Veranstaltungen eingeladen. 

Frage: Und du gehst hin? 

Gorelik: Oh ja, ich gehe immer. Ich wurde sogar mal zu einer Diskussion über Schuluniformen eingeladen. Wahnsinn! Schuluniformen sind mir so was von egal! Das habe ich denen dann auch gesagt. Auch die CSU hat mich eingeladen. Da bin ich auch hingegangen. Generell versuche ich zu provozieren und gleichzeitig auszugleichen. Mein Ziel ist es, Harmonie zu verbreiten und ich bin immernoch der Überzeugung, dass sich doch eine Lösung finden lassen muesste, die alle glücklich macht. Ich hätte so gerne eine radikale Meinung zu irgendwas, aber ich bleibe immer auf halber Strecke stecken.  

Frage: Sehr aktuell schied Kanada gegen Russland aus dem olympischen Eishockey aus und eine ganze Nation steht unter Schock. Hast du das verfolgt?

Gorelik: Wirklich? Nein, hab ich nicht gehört, aber ich freue mich natürlich sehr für Russland. Die russische Seele steht mir eben doch näher als die kanadische.

Vielen Dank für das Gespräch.

 



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